Mittwoch, 3. Juli 2013

Wasser bitte!

Nun hat es zwar kürzlich geregnet (einmal, um genau zu sein), und die Temperaturen sind merklich gesunken (auf 34°), allerdings darf man sich hier davon nicht täuschen lassen. Es ist lediglich eine Frage von Tagen, bis die Hitze wieder jenen Grad erreicht hat, den man guten Gewissens als "brutal" bezeichnen kann.

Mitte Mai schon kletterte das Thermometer auf 35°, Mitte Juni dann auf schweißtreibende 41°.
Diese Angaben gelten ja, wie Ihr wißt, für den Schatten. Da dieser hier nicht gerade üppig vorhanden ist. ist man, sobald man aus dem Haus tritt, viel höheren Temperaturen ausgesetzt.

Vor kurzem wurde ich Zeugin eines hochinteressanten Email-Austauschs über die Vorzüge und Nachteile zweier sehr unterschiedlicher Städte. Ein Schreiber wohnt in Phoenix - im Bundesstaat Arizona gelegen, der andere in der kolumbianischen Stadt Medellin.
Welche Stadt nun wird in diesem Austausch als "lebensgefährlich" bezeichnet? Medellin natürlich!

Falsch geraten! "Das Leben in Phoenix ist doch regelrecht lebensgefährlich," schreibt da der in Medellin Wohnende.
Weil dort etwa mehr Schurken als in der kolumbianischen Metropole ihren Mitbürgern auflauern?!

Wieder falsch! Es ist die Hitze, die der Schreiber ins Felde führt!
Phoenix ist einer der heißesten Städte der USA. Vor kurzem wurden dort Temperaturen von 47° gemessen und Hundeeltern davor gewarnt, ihre Vierbeiner länger als zehn Minuten Gassi zu führen.

Nun ist Phoenix um ein paar Grad heißer als Deming (es wird hier höchstens schlappe 42° heiß), allerdings kann man sich auch hier ganz leicht in Lebensgefahr begeben.
Man gehe folgendermaßen vor:
  • Besucht dieses Wüstenkaff vorzugsweise vor Beginn des Monsunregens, also Anfang oder Mitte Juli.
  • Ihr habt lange geschlafen und begebt Euch um 11 Uhr ins Museum, um dort die Wegbeschreibung zum Fort Cummings zu erstehen. 
  • Abenteuerlich gestimmt begebt Ihr Euch auf den Weg und biegt von der Bundesstraße 26 auf die unbefestigte Cook's Canyon Road und folgt der Wegbeschreibung zum Fort.
  • Dort steigt Ihr aus, um Euch die Überreste genauer anzuschauen. Eure zwei mitgebrachten Wasserflaschen habt Ihr zu diesem Zeitpunkt schon zur Hälfte ausgetrunken.
  • Da Ihr allerdings wenig Erfahrung mit der Hitze habt - und schließlich sind die Wasserflaschen noch halb voll, beschließt Ihr, nach Westen in den Skeleton Canyon weiterzufahren. Schließlich sind das laut Wegbeschreibung nur wenige Meilen.
  • Im Skeleton Canyon merkt Ihr, dass Ihr Euch eigentlich ein Auto mit Allradantrieb hättet mieten müssen. Die Räder drehen durch und Ihr bleibt fast stecken.
  • Also steigt Ihr aus und geht ein paar Schritte zu Fuß durch diesen einsamen, schattenlosen Canyon, der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Schauplatz grausamer Apachenüberfälle war (daher auch der Name!).
  • Nach einem halben Kilometer oder so habt Ihr auch den letzen Rest Eures Wassers ausgetrunken, und Ihr geht - langsamer nun - zurück zum Auto.
  • Dort angekommen seht Ihr, dass einer der Reifen vollständig platt ist.
    Eure mechanischen Fertigkeiten lassen zu wünschen übrig, Ihr seid natürlich in einem Funkloch, das Handy funktioniert also nicht, und seit Ihr von der Bundesstraße abgebogen seid, habt Ihr keine Menschenseele gesehen. 
  • Falls Ihr den Reifen wechseln könnt und falls Ihr nicht an Herzerkrankungen leidet, werdet Ihr diese Episode wahrscheinlich überleben.  Schwindlig, zittrig, mit Kopfschmerzen, Herzrasen und aufgesprungenen Lippen werdet Ihr in Deming ankommen und Euch beim erstbesten Schnellrestaurant - was dann Burger King wäre - einen Becher Wasser erbitten ("a cup of courtesy water, please").
  • Falls Ihr keine Ahnung vom Reifenwechsel habt oder - schlimmer noch - erst gar keinen dabei habt, seid Ihr in ernsthaften Schwierigkeiten.
Es muß natürlich nicht der Skeleton Canyon sein. Auch die Florida Mountains bieten ausreichend und ausgezeichnete Gelegenheiten für derlei Survival-Tests.

Wie sieht der Prozeß des Verdurstens eigentlich aus?

  • Der Mund trocknet aus, ein Belag bildet sich
  • Die Lippen springen auf
  • Die Augen treten in die Augenhöhlen zurück
  • Die Wangen fallen ein
  • Die Nase blutet, weil die Schleimhäute austrocknen und aufspringen
  • Die Haut wird faltig und schuppig, da der Körper soviel an Wasser verliert, dass er schrumpft
  • Das letzte Wasserlassen brennt wie Feuer wegen der erhöhten Konzentration von Urin
  • Die Magenschleinhäute trocknen aus, Brechreiz setzt ein
  • Die Körpertemperatur erhöht sich
  • Zu diesem Zeitpunkt sind alle Organe geschrumpft, da der Körper ihnen Wasser entzieht, um Herz und Gehirn zu schützen
  • Schließlich sterben die Gehirnzellen doch ab, was zu Zuckungen, Sprach- und Gehstörungen und Halluzinationen führt
  • Dann trocknen die Lungen aus
  • Koma/Verlust des Bewußtseins
  • Tod
Wenn man gesundheitliche Probleme hat und eh schon dehydriert ist, dauert das Ganze hier in der Wüste ungefähr einen Tag.

Die Einheimischen setzen sich dieser Gefahr natürlich nicht aus.
Wer hier diesen grausamen Tod stirbt, kommt meist von der anderen Seite der Grenze.
Auf der Suche nach Arbeit versuchen viele, illegal die Sonora -Wüste im südlichen Arizona oder die Chihuahua-Wüste im südlichen New Mexiko zu durchqueren. Oft nur unzureichend ausgerüstet werden sie dann von Menschenschmugglern ihrem furchtbaren Schicksal überlassen. Schätzungen nach kommen jahrlich etwa 150 bis 250 auf diese Weise ums Leben.

Während der fünfmonatigen Hitzeperiode sehen viele Grenzschutzbeamte ihre Rolle als Lebensretter. Oft kommen sie allerdings zu spät und finden lediglich die mummifizierten Leichen oder nur noch ein paar unidentifizierbare Knochen. (Hier könnt Ihr mehr zu diesem Thema lesen: http://www.nytimes.com/2012/06/22/opinion/migrants-dying-on-the-us-mexico-border.html?_r=2&)

Aber zurück zu Euch:
Oktober ist der schönste Monat hier. März/April ist auch eine gute Zeit für die Abenteuerlustigen unter Euch, die gerne Gegenden "off the beaten path" auskundschaften wollen.
Packt aber mehrere Wasserflaschen ein! Unabhängig von der Jahreszeit! Denn die Luft hier ist so trocken, dass sie dem Körper auch im Winter Feuchtigkeit entzieht.

Ich wünsche uns allen einen wunderschönen Sommer -  mit viel Sonnenschein für Euch im Norden und für Euch auf der anderen Atlantikseite, und mit ordentlichen Monsunregenschauern für uns, die hier leben!

P.S. Ich habe letztes Wochenende eine meiner Blogleserinnen aus Las Cruces persönlich kennengelernt! Hat mich echt gefreut!