Dienstag, 17. November 2009

Bitte nicht krank werden!

Krank werden oder - sein macht selten Spaß. Und hier im ländlichen Amerika im allgemeinen und an der mexikanischen Grenze im besonderen vergeht einem dann auch noch der letzte Rest von Humor, den man unter anderen - mehr städtischen - Umständen vielleicht noch aufgebracht hätte.

Wer keinen Hausarzt oder keine Hausärztin hat, muß sich wochenlang (oder gar monatelang) gedulden, bevor er einen Termin erhält. Und man muß oft stundenlange Autofahrten auf sich nehmen.

Mein Mann John wurde Ende August von seinem Agenarzt mit "Uveitis anterior," einer Entzündung seiner Iris, diagnostiziert. Da John früher mit dieser Gemeinschaftspraxis gute Erfahrungen gemacht hatte, ist er bereit, die dreistündige Fahrt nach Safford, das im benachbarten Bundesstaat Arizona liegt, auf sich zu nehmen.

Nun hätte er vielleicht einen Augenarzt in Las Cruces (nur eine Stunde über die Autobahn) finden können, allerdings bestimmt nicht in Deming!

Alamiert von dieser ernsten Diagnose (Uveitis ist die dritte Ursache für Blindheit in den USA) und von der Tatsache, dass John keinerlei Symptome hatte, wollte ich meine Augen untersuchen lassen. Nun hat man in Deming keine große Auswahl. Mit fast 18 000 Einwohnern ist es zwar eine der größeren Ortschaften in New Mexico, es gibt aber nur zwei Augenärzte. Einer davon hat einen sehr schlechten Ruf und scheint auch dauernd "out of town" zu sein, und der andere nimmt -wie ich erfahren mußte - bis März nächsten Jahres keine neuen Patienten an. Also auf nach Las Cruces, in die nächstgelegene größere Stadt! Ich mußte sechs (!) Wochen auf meinen Termin warten!

Zurück zu meinem Mann. Sein Augenarzt in Safford war so besorgt, dass er ihn von einem Spezialisten untersuchen lassen wollte. New Mexico, der Bundesstaat, in dem wir leben, hat keinen Arzt und keine Ärztin, der/die auf diese Augenentzündung spezialisiert wäre. Nun muß John mindestens einmal im Monat nach Tucson, das ebenfalls im benachbarten Bundesstaat Arizona liegt. Von Deming nach Tucson sind es fünf Stunden über die Autobahn.

Stelle Dir vor, Du wohnst in Mannheim und mußt zum Arzt nach Hannover!

Das war allerdings nicht der einzige unbequeme Umstand. (Fünf Stunden durch die Wüste zu gurken ist einfach total langweilig.) Die Uveitis-Spezialistin verschrieb John ein ganzes Sortiment an Augentropfen. So weit, so gut.

Was macht man mit einem Rezept? Man geht zur Apotheke und nimmt die verschriebenen Medikamente in Empfang, nicht wahr? Falsch!

Wir kommen nun zu anderen dicken Problemen für Ruheständler/innen, die sich getrauen, in den USA - und dann noch im ländlichen Teil - krank zu werden: Die Verbindung zwischen Krankenkassen und Apotheken und die Unwilligkeit von gestreßten Angestellten.

In Deming bekommt man seine Medikamente entweder bei Wal-Mart, einer Supermarktkette, oder bei Medicine Shoppe, einer Apothekenkette. Nun wäre Medicine Shoppe die weitaus bessere Wahl gewesen. Die Atmosphäre ist freundlicher und das Personal ist besser ausgebildet. John traute allerdings kaum seinen Ohren, als man ihm dort sagte, dass Medicine Shoppe in Deming nicht mit Johns Krankenversicherung abrechnet!

Stelle Dir vor, Du gehst zur Marktapotheke und man teilt Dir mit, dass Du keine Medikamente von denen bekommst, weil Du bei der DAK versichert bist! Du gehst dann los und klapperst andere Apotheken in der Hoffnung ab, eine zu finden, die mit der DAK Geschäfte macht!

John mußte also zu Wal-Mart. Und die Angestellten dort taten alles in ihrer Macht stehende, um ihren schlechten Ruf zu stärken. Er hatte ein Rezept für vier verschiedene Augentropfen. Obwohl sich alle Medikamente auf den Regalen befanden, teilte man ihm mit, dass er in zwei Stunden wieder kommen solle. Als er sich vier Stunden später wieder meldete, waren seine Medikamente immer noch nicht fertig. Nach einer weiteren Stunde in der Schlange konnte er endlich zwei von den vier Augentropfen in Empfang nehmen. Man teilte ihm mit, dass die anderen - von einem Assistenzarzt unterschriebenene - Rezepte nicht akzeptieren werden können.

Nun ging es hier um dringend benötigte Tropfen gegen einen gefährlich hohen Augeninnendruck! Völlig entnervt ließ sich John die Telefonnummer der Apothekenabteilung bei Wal-Mart geben und rief dann die Praxis der Spezialistin in Tucson an, mit der Bitte um Klarstellung.

Einen geschlagenen Tag später meldete sich die Tucson-Praxis, allerdings nicht bei Wal-Mart, sondern bei meinem Mann. Man habe versucht, den Apotheker bei Wal-Mart zu erreichen, allerdings sei die angebene Telefonnummer falsch!

Nun stieg John aus allzu verständlichen Gründen der Kamm. Er eilte zurück zu Wal-Mart, um dort Dampf abzulassen. Die Angestellte dort hatte dann die Dreistigkeit (oder einfach die Dummheit) zu behaupten, die Nummer, die sie John am Vortage angegeben hatte, sei richtig. "Mit dieser Nummer läutet hier das Telefon!" Nun tat John das einzige, was er tun konnte. In ihrem Beisein wählte er genau diese Telefonnummer, hielt ihr sein Handy hin und überließ es ihr, dem endlosen Läuten an dem wer-weiß-wo anderen Ende zu zu hören. In der Apothekenabteilung läutete nämlich kein Telefon! Nun bot John ihr an, sofort und direkt mit der Praxis in Tucson zu sprechen, hatte er doch deren Nummer im Handy eingespeichert. Das aber wurde mit dem Hinweis auf mögliche Keime an seinem Telefon abgelehnt!

Der nächste Gefechtszug bestand darin, dass die Wal-Mart - Angestellte auf der Faxnummer der Spezialistin in Tucson bestand. Mit sicherlich erhöhtem Blutdruck fuhr John also wieder die 25 Meilen (40 km) nach Hause, dann 25 Meilen zurück zu Wal-Mart, um die erwünschte Nummer abzuliefern. Der arme Kerl mußte dann noch einmal fast zwei Stunden warten, bevor die Tucson -Praxis der Apothenabteilung bei Wal-Mart die Ermächtigung zurückfaxte, John die dringend benötigten Augentropfen auszuhändigen!

Ich könnte hier noch für Stunden am PC sitzen und ähnliche Horrorgeschichten berichten: Von einem Freund, der beinahe starb, weil ihm von der Wal-Mart - Apotheke lebenswichtige Medikamente verweigert wurden; von einer Freundin, die als Apothekerin arbeitet und unter dem Druck, täglich über 300 Rezepte füllen zu müssen, beinahe zusammenbrach; von Fernsehberichten, die den lebensgefährlichen Fehlern von Apothekern, die unter einem solchen Druck arbeiten, nachgehen.

Aber genug für heute.