Freitag, 22. Januar 2010

Unfall in Wildweststyle

Ende November hatte mein Mann in El Paso einen Autounfall. Als er von einer vierspurigen Straße nach rechts abbiegen wollte, sah er im Rückspiegel, dass der Fahrer hinter ihm sich mit einer solchen Geschwindigkeit näherte, die es ihm - dem anderen Fahrer - unmöglich machen würde, seinen Wagen rechtzeitig zu verlangsamen, so dass mein Mann sein Abbiegemanöver vornehmen könnte. Anstelle also nach rechts abzubiegen, gab mein Mann Gas, um das Unvermeidliche zu vermeiden. Es half aber alles nichts. Das andere Fahrer war so schnell, dass er meinem Mann mit Karacho hinten drauffuhr.

Die Polizei kam, nahm die üblichen Daten auf, und da mein Mann John nicht allzu große Schmerzen hatte, ließ er den herbeigerufenen Krankenwagen unverrichteter Dinge wieder abfahren.

Das mit den Schmerzen änderte sich allerdings schnell. Schon am gleichen Abend konnte er seinen Kopf kaum bewegen und an Schlaf war nicht zu denken. Der Arzt diagnostizierte am nächsten Tag ein Schleudertrauma, versuchte es erst mit Akupunktur, dann mit den üblichen Schmerzmitteln und Physiotherapie.

All das, wie gesagt, fand Ende November statt.

Nun haben wir Ende Januar, John hat immer noch große Schmerzen, und sein Auto - steht unrepariert im Hof.

Die Versicherung des gegnerischen Fahrers weigert sich, für den Schaden aufzukommen.

Weder unsere Versicherung noch John waren in der Lage, mit der Versicherung des Unfallgegners, Old American Mutual, in einen konstruktiven Kontakt zu kommen. Zunächst waren alle Telefonnummern für Old American Mutual falsch, selbst die, die John von der Polizeistelle in El Paso bekam. Dann gaben sie vor, dass der Typ, der den Unfall verursachte, gar nicht bei ihnen versichert sei! Dann hieß es, dass John einen Kostenvoranschlag schicken solle, der dann aber revidiert würde. Schließlich schickten sie diesen "revidierten" Kostenvoranschlag mit einem Scheck über $2 500.

Nun mußte John nicht nur alle diese Telefonate iniziieren (über 50!), sondern die Person am anderen Ende der Leitung war auch ungemein frech, unprofessionell, und verbrachte höchstens 56 Sekunden mit ihm am Apparat!

Die $2 500 sind natürlich lächerlich. Die Reparatur kostet mindestens $4 000. Von einem Ersatzwagen für die drei Tage, die die Reparatur braucht, den Artkosten und Schmerzensgeld ganz zu schweigen!

Letzten Montag haben wir uns in El Paso einen Anwalt genommen. Der hat uns klar gemacht, dass John sich für seinen Unfall einen denkbar ungünstigen Ort ausgesucht hat. El Paso liegt nämlich in Texas, und Texas ist ja bekanntlich in mehr als in einer Hinsicht komplett rückständig.

Wäre der Unfall hier in Deming oder z.B. in Las Cruces, also in New Mexico, passiert, hätte die Versicherung schon alleine wegen mangelnder Kooperationsbereitschaft eine saftige Strafgebühr bezahlen müssen und wir hätten eine "bad faith" Anklage einreichen können. Die Versicherungskonzerne in Texas allerdings unterliegen keinerlei Verpflichtung, mit dem Unfallopfer zu kommunizieren!

Aber es kommt schlimmer. Eine texanische Jury geht in der Regel davon aus, dass a) ein Unfall bei relativ geringer Geschwindigkeit keine Verletzungen zur Folge haben kann, b) dass, falls wirklich ein Schleudertrauma verursacht wurde, dies keine Schmerzen mit sich bringt, und dass c) Ankläger schlicht und einfach übertreiben, um ein paar Dollar einzusacken. Das - so der Anwalt - wird dann von "Gutachtern" - von den Versicherungsgesellschaften angeheuert - "wissenschaftlich bewiesen."

Ich erzählte dem Anwalt von meiner so ganz anderen Erfahrung in Deutschland, als mir auf der A6, kurz vor Grünstadt, jemand hinter drauffuhr. Nachdem ich die Frage des Polizeibeamten, ob ich Schmerzen hätte, mit "ja" beantwortet hatte, war die Angelegenheit nicht mehr in meiner Hand. Mein Unfallgegner wurde wegen Körperverletztung vor Gericht gestellt und ich hatte lediglich eine schriftliche Erklärung zum Unfallvorgang abzuliefern. Und natürlich war mein Auto wenige Tage später repariert, ohne dass ich auch nur einen Pfennig hätte ausgeben müssen.

Er gab zu, dass das in Texas viel "ungünstiger" sei.

Jedenfalls nahm er unseren Fall an, und wir richten uns auf einen Rechtsstreit ein, der gut eineinhalb Jahre in Anspruch nehmen wird.

Die Moral von der Geschichte: Wenn Du einen Unfall in den USA baust, bitte nicht in Texas!