Samstag, 25. Juli 2009

Nach Mexiko zum Zahnarzt

Nach 33 Jahren war es letzte Woche mal wieder soweit: Einer meiner Zähne mußte gezogen werden. Dazu noch ein Weisheitszahn!

Nun habe ich - wie über 40 Millionen Amerikaner/innen -keine Krankenversicherung. Und selbst wer sich glücklich schätzt, eine solche zu besitzen, ist meistens für Zahnarzt- und Augenarztbehandlungen nicht abgedeckt. Dafür müssen nämlich monatliche Beiträge extra geleistet werden oder - man zahlt eben die Behandlungen aus eigener Tasche.

Was macht man nun in einer solchen Situation? Man geht nach Mexiko zum Zahnarzt!

Von der Innenstadt Demings ist es über die Bundesstraße 11 nur eine halbe Stunde bis Palomas, einer Kleinstadt jenseits der Grenze. Dort haben sich um die zehn clevere Zahnärzte und Zahnärztinnen, die um die Misere des amerikanischen Gesundheitswesens wissen, niedergelassen und erfreuen sich an vollen Praxen!

Und das mit Recht!

Nun war ich nicht zum ersten mal "drüben," um meine Zähne behandeln zu lassen. Und auch dieses mal, in Erwartung einer schmerzhaften Angelegenheit und dementsprechend nervös, war ich angenehm überrascht. Die Praxis war - wie immer - absolut sauber, das Personal von einer unverfälschten - und nicht aufgesetzten - Freundlichkeit und die Ärztin von einer warmen Professionalität. Sie hörte zu, erklärte viel, zeigte mir Möglichkeiten auf, wir scherzten und dann machte sie sich an die Arbeit.

Einer meiner Freundinnen, mit der ich vor vielen Jahren meine Auswanderungspläne besprach, hatte mich gewarnt. Sie hatte mal für ein paar Jahre in den USA gelebt und von der Gewohnheit mancher Amis, zum Zahnarzt nach Mexiko zu gehen, gehört. "Aber du wirst dich doch wohl nicht mexikanischen Zahnärzten anvertrauen!" hatte sie mir eingeschärft.

Genau das aber tue ich seit Jahren und fühle mich jedes mal sehr gut aufgehoben!

Mein erster Zahnarztbesuch jenseits der Grenze war in Algodones. Das liegt südwestlich von Yuma (Arizona), wo ich damals arbeitete. Damals hatte ich eine für amerikanische Verhältnisse ausgezeichnete Krankenversicherung, die sogar Zahnarztbehandlungen einschloß. Als ich mal dringend einen Zahnarzt brauchte, wählte ich mir fast den Finger wund, um eine Praxis ausfindig zu machen, die mir einen Termin anbieten konnte, der früher als zehn Tage später war!! Umsonst!
Mein Mann schlug eine Zahnärztin in Algodones vor. Als sie hörte, dass ich Schmerzen hatte, gab sie mir nicht nur einen Termin für den nächsten Tag (einen Samstag), sondern sie fuhr extra von ihrem Wohnort zu ihrer Praxis an ihrem sonst freien Tag!

Vor ein paar Tagen nun gehe ich wieder zu "Dr. Karla" nach Palomas. (So läßt sie sich von ihren amerikanischen Patienten anreden, da die meisten - mit Fremdsprachen eh auf Kriegsfuß - ihren Nachnamen nicht aussprechen können.) Ich will wissen, ob die Heilung meiner Zahnlücke ihren gerechten Gang geht. Außerdem will ich mit ihr mein "internes Granulom" diskutieren. Ich will wissen, ob ich an der Wurzel einer meiner Vorderzähne wirklich noch eine verkapselte Entzündlung habe, wie vor 33 Jahren diagnostizierte wurde.

Dr Karla steht auf, kramt in ihren Unterlagen und kommt mit einer Röntgenaufnahme zurück, die in ihrer Praxis vor drei Jahren gemacht wurde. Sie beginnt ihre Ausführungen mit der Aussage, dass sie sich über die schlampige Arbeit des deutschen Zahnarztes gewundert habe. Sie habe von deutschen Kollegen eigentlich mehr erwartet! Ich erfahre, dass die Wurzelbehandlung fehlerhaft durchgeführt wurde, dass sie aber keinerlei Anzeichen eines Entzündungsherdes ausmachen kann, und sie empfiehlt, den Zahn in Ruhe zu lassen, da ich ja keine Schmerzen habe. Und ja, alles heilt, wie es soll! Falls ich aber Fragen habe oder wirklich Schmerzen haben sollte, könne ich sie jederzeit anrufen.

Ich bin beeindruckt.

Auf der Heimfahrt erzählt mir mein Mann, dass er sich im Warteraum mit einer Frau unterhalten habe, deren Mann bei Dr. Karlas Ehemann (mit dem Dr. Karla sich die Praxis teilt) auf dem Behandlungsstuhl saß. Dieser (amerikanische) Patient nun ist ein gut verdienender Urologe mit einem Haus in Florida und einem anderen in Tucson!

Im Internet erfahre ich, dass die Zahnärzte in den mexikanischen Grenzstädten - und anderswo im Land - eine ausgezeichnete Ausbildung haben. Und überhaupt: Wer nach Mexiko ziehen und dort arbeiten will, sollte lieber daheim bleiben, falls er/sie in Erwägung zieht, einem hochqualifiziertem Beruf nachzugehen. Die brauchen dort nämlich keine ausländischen Ärzte, Psychologen oder Krankenschwestern! Die haben genug hochausgebildete eigene Leute!

Übrigens hat Dr. Karla für meinen zweiten Besuch keinen Peso verlangt. Ihre Begründung: "Sie haben eine so lange Anfahrtszeit!" Das Ziehen des Weisheitszahns kostete schlappe $70.

Montag, 13. Juli 2009

Die Angst vor dem anderen

Seit letzter Woche habe ich ein Auto mit Allradantrieb. Es schluckt zwar mehr Benzin als andere Autos, aber ich will schon seit Jahren u.a. die Florida Mountains und Skeleton Canyon erforschen. Und dahin kommt man eben nur mit einem Allradauto.

Während eines kürzlichen Kaffeeklatschs warnte mich meine Bekannte Constance eindringlich vor den Campingplätzen hier in der Gegend.

Nun gibt es weder in den Florida Mountains noch in Skeleton Canyon Campingplätze. Diese rauhen Gegenden sind so abgelegen wie in den Tagen, als die Apachen sich nicht anders zu helfen wußten, als Postkutschenreisenden aufzulauern und ins Jensseits zu befördern. Es gibt keine Straße, und keiner wohnt da.

Dennoch höre ich mir geduldig Contances Schilderung von einer "gefährlichen Begegnung" an: Sie war mit ihrem Freund in einem Wohnwagen auf einem abgelegenen Stellplatz im Wald. Es waren noch ein paar andere Camper da, u.a. einige offensichtlich Drogenabhängige. Einer von ihnen kam eines Tages auf ihren Wohnwagen zu. Constance - allein "zu Hause" - (ihr Freund war auf einem Spaziergang) ahnte nichts gutes. Der Typ, so erzählte sie, klopfte an die Tür und forderte etwas zu trinken und zu essen. Constance gab ihm, was er wollte, und er verschwand. Wenig später - der Freund war mittlerweile zurück - kam er wieder, klopfte diesmal wohl etwas lauter als notwendig an die Tür und forderte Heftpfalster.

Nun habe ich die Einzelheiten nicht mehr im Kopf, aber ihrer Schilderung nach kam dieser Drogenabhängige etliche Male zu ihrem Wohnwagen, um zu reden, zu schimpfen oder einfach, um etwas zu bekommen. Constance und ihr Freund fühlten sich bedroht.

Am nächsten Tag kamen die Freunde des jungen Mannes und versicherten meiner Bekannten, dass er harmlos sei und sie würden dafür Sorge tragen, dass er sie nicht mehr belästigte. Offensichtlich waren sie nicht sehr erfolgreich, da - gemäß Constance - er am nächsten Tag wieder da war und nicht zu überreden war, sie in Ruhe zu lassen. Die Wortwechsel wurden wohl etwas heftiger. Constance erzählte, dass sie sich gezwungen fühlte, ihm ihre Pistole zu zeigen.

Ich dachte, ich hätte mich verhört. Diese schüchterne, kränkliche Constance hat eine Knarre?!

Jedenfalls verbrachte sie die folgende Nacht am Tisch sitzend und mit ihrem entsicherten Schießeisen auf dem Tisch. Ihr Freund schlief seelenruhig. "Wenn der Typ in den Wohnwagen eingedrungen wäre, hätte ich von meiner Waffe Gebrauch gemacht," endete sie ihre Schilderung.

Nun will ich ihr nicht absprechen, dass sie sich bedroht fühlte. Viellecht wäre es mir ähnlich ergangen. Woran ich mich aber nicht gewöhnen kann ist die Art, wie die Menschen hier mit Bedrohungen umgehen: Sie ziehen ihre Knarre und halten das für ein Gott-gegebenes Recht.

Nach meiner Einwanderung absolvierte ich ein einjähriges Seelsorgepraktikum am Krankenhaus in Yuma, Arizona. Ich erinnere mich lebhaft an eine hitzige Diskussion bei Tisch, während der zwei der männlichen Kollegen aufs hefigste den Standpunkt vertraten, dass ich das Recht hätte, denjenigen zu erschießen, der in mein Haus eindringt. Ich kam aus dem Staunen nicht heraus! Das waren Pfarrer (die offensichtlich noch nie etwas von der Bergpredigt gehört hatten) und sie waren "natürlich" im Besitz von mehreren Schußwaffen.

Dass das kein grotesker Einzelfall von entgleisten Seelsorgern war, lernte ich recht schnell kennen, als wir dann nach Deming zogen. Zwei Stunden nördlich von hier beginnt ein Bezirk, in dem es Pflicht ist, dass der Haushaltsvorstand eine Waffe hat! Als wir Freunde meines Mannes in Daitl, das in besagtem Catron County liegt, besuchten, fiel mir der Revolver ins Auge, der aus einer Tasche des Sofabezugs herausragte. Der "Haushaltsvorstand" veruchte, mich von der Notwendigkeit dieser Regelung zu überzeugen und wies darauf hin, dass es im ganzen Bezirk so wenige Polizeibeamte gäbe, so dass man gewisse Dinge einfach selbst in die Hand nehmen müsse.

Meine Wanderpartnerinnen Laura und Inez gehen nicht aus dem Haus ohne eine geladene Pistole im Handschuhfach. Beider Ehemänner sind so ängstlich, dass ihren Frauen etwas zustößt, dass sie darauf bestehen, dass Laura und Inez die Knarre im Rucksack mit sich führen! (Das aber geht meinen Freundinnen dann doch zu weit, und sie lassen ihre Waffe im Auto.) Vor kurzem gesellte sich Sherry zu uns. "Hast Du eine Waffe dabei?" fragte ich sie. Ihre Antwort, dann schon fast wie erwartet: "Ja, natürlich."

Als ich letztes Jahr nicht aus dem Haus konnte, weil eine Klapperschlange es sich unter den Stufen bequem gemacht hatte, rief ich meine Nachbarin Diana an. Prompt kam sie mit Mann und Gewehr angefahren. (Sie wohnt 1,5 km entfernt.) Als sie beiden über den Zaun geklettert waren, hatte die Schlange schon das Weite gesucht. Und Diana war offensichtlich enttäuscht, dass sie ihr Gewehr nicht zum Einsatz bringen konnte.

Vor einigen Jahren gab es im einem der zwei lokalen Supermärkte eine Schießerei. Zwei Jungendliche schossen den Filialleiter an und trafen ein neunjähriges Mädchen. Beide überlebten. Bei einer Diskussion über eventuelle Gegenmaßnahmen schlug einer vor, in allen Supermärkten Sicherheitsvorkehrungen wie am Flughafen einzuführen. "Warum nicht den Leuten einfach ihre Waffe abnehmen," war dann mein Vorschlag, der mit einem betretenen Schweigen quittiert wurde.

Das Argument, dass immer wieder ins Feld geführt wird, ist, dass es angesichts unterbesetzten Polizeistationen, unterbezahlten Polizeibeamten und weiten Entfernungen einfach eine Notwendigkeit sei, sich ein Schießeisen zuzulegen. Falls wir hier polizeiliche Hilfe bräuchten, würde es eine halbe Stunde dauern, bis der Streifenwagen einträfe. In der Zwischenzeit kann natürlich viel passieren. Und natürlich kann man davon ausgehen, dass derjenige - und diejenige -,der/die mich bedroht, eine Waffe hat.

Ein Teufelskreis? Weil der andere eine Waffe hat, mit der er die Wahrscheinlichkeit, mich ins Jenseits zu befördern, drastisch erhöht, lege ich mir eben auch eine zu? Man kann Kurse für den fachgerechten Umgang mit der Schußwaffe belegen. Wer aber etwas zum Thema gewaltfreie Konfliktlösung sucht, geht leer aus. Diana jedenfalls versucht schon seit Jahren, mich zum Kauf einer Knarre (erhältlich auf dem Flohmarkt!!) zu bewegen. "Habt ihr Amerikaner so viel Angst voreinander?" frage ich sie und erhalte keine Antwort.

Waffen werden natürlich nicht nur zum Zwecke der Selbstverteidigung verwendet. Skeleton Canyon, wo ich mit meinem Allradauto hin will, liegt im Cooks Mountain Range. Dort hat ein Rancher eine der unbefestigten Straßen abgesperrt. Grund: Schießwütige haben seine Kühe und Kälber erschossen!