Freitag, 19. Oktober 2012

Albuquerque: VA Hospital

Vor einer Woche begleitete ich meinen Mann wieder einmal zu einem Arzttermin im VA Hospital in Albuquerque.

VA steht für "Veterans  Affairs," und Hospital muß ich Euch ja nicht übersetzen. In diesen Krankenhäusern werden also nur Soldaten und Soldatinnen (ehemalige und derzeitige) und deren Angehörige behandelt.
Jeder Bundesstaat hat ein eigenes VA hospital und mehrere kleinere VA clinics. Das VA hospital für New Mexico Veterans ist in Albuquerque.

Die einfache Fahrt von Deming dauert gut viereinhalb Stunden und ist äußerst langweilig. Es geht auf der I 25 schnurgerade nach Norden durch die Hochwüste und vorbei an von Armut gebeutelten Ortschaften wie Truth or Consequences (der Ort heißt wirklich so!) und Socorro. Wieder einmal den ganzen Tag auf der Autobahn zu verbringen, entsprach nicht gerade meiner Vorstellung von einem schönen Tag. Da mein Mann allerdings nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr Auto fahren kann, mußte ich mit.

Da die Zeit bei unserer Ankunft knapp war, ließ ich meinen Mann vor dem Haupteingang aussteigen und suchte dann nach einem Parkplatz, der - an einem Freitag Nachmittag - schnell gefunden war. Während ich auf den Eingang zulief, entschied ich mich, diesmal nicht das Gebäude zu betreten, sondern mich einfach draußen auf eine Bank zu setzen und für eine Weile dem Treiben zuzusehen. Lange hielt ich es allerdings nicht aus.

Die Atmosphäre innerhalb und außerhalb des Krankenhauses berührt mich jedes mal auf eine äußerst unangenehme Weise. Dies hier ist ein Ort, an dem nicht nur die menschlichen Kosten des Krieges deutlich werden, sondern auch der Versuch, eben jene Kosten zu ignorieren.

Auf den Parkplätzen schon fielen mir bei früheren Besuchen die vielen speziellen, den Fahrer als stolzen Kriegsveteran auszeichnenden Nummernschilder auf. Auch mancher, der einem im Rollstuhl entgegenkommt, hat eine kleine amerikanische Flagge an seinem Gefährt befestigt, stolz, seinem Land gedient zu haben, selbst wenn es ihn zum Krüppel machte. Rechts vorm Haupteingang steht ein meterhohes Standbild, einen Soldaten darstellend, der einen verwundeten Kameraden auf seinen Schultern aus einer imaginären Gefahrenzone trägt.

Ich erinnere mich, dass sich die Darstellung und Betonung von Heldentum und rühmlichen Taten auch auf die Gänge und Wartehallen innerhalb des Gebäudes fortsetzt: Tafeln mit den Namen Gefallener, eingerahmte Plakate und Zeitungsausschnitte über frühere Siege, vor allem während des Zweiten Weltkrieges, Fotos von Generälen in schnittigen Uniformen.

Manche Plakate weisen auf weitaus weniger Rühmliches hin: Soldatinnen werden ermuntert, Vergewaltigungen zu melden und sich kostenfrei psychisch behandeln zu lassen.

Die Haupteingangshalle quillt über von Menschen aller Hautfarben und Altersgruppen. In der Mitte dieser großen Halle sind die meisten Stuhlreihen besetzt. Ein Fernseher mit den üblichen Seifenopern und Nachrichtensendungen hält die Aufmerksamkeit der Wartenden fest, die lieber nicht nachdenken wollen. Nur diejenigen allerdings, die nahe am Fernseher sitzen, können die Programme auch akustisch verfolgen. Ansonsten ist das Stimmengewirr der sich vorbeischiebenden Menge zu laut. Obendrein beschallt die Coffee Bar nebenan mit Bässen die ganze Nachbarschaft.

Ich erinnere mich, einmal einem alten, gut gekleideten Navajo gegenüber gesessen zu haben, dessen Kappe ihn als "Navajo Code Talker" auswies. Navajos sind sehr stolz darauf, mit den auf ihrer Sprache basierenden Geheimnachrichten, die die Japaner nicht entschlüsseln konnten, zum siegreichen Ausgang des Kampfes um Iwo Jima während des zweiten Weltkrieges beigetragen zu haben. Ich war irgendwie berührt gewesen und hatte mir überlegt, ihn anzusprechen, unterließ es aber aus Gründen, die ich mir nicht ganz klar gemacht habe.

Die Mehrheit der Patienten sieht heruntergekommen aus, körperlich, seelisch und materiell. Viele humpeln in abgerissenen Klamotten und mit dicken, über die Jeans quellenden Bäuchen die Gänge entlang. Billige T-Shirts, Jeans, Turnschuhe mit weißen Socken bilden die Einheitstracht. Auch die schlaffen Oberarme der Älteren, derer, die in Vietnam oder in Korea waren, sind oft mit Tatoos "dekoriert." Viele riechen nach Alkohol und Zigaretten. Viele schieben Sauerstoffflaschen vor sich her.

Der Anblick der jungen beinamputierten Männer, die vom Pfleger durch die Gänge gerollt werden, tut weh. Man sieht ihnen den körperlichen und seelischen Schmerz an.

Das Personal ist freundlich und lächelt viel. Die Ärzte und Ärztinnen bemühen sich, so gut es geht. (Es gibt nach jedem Patientenbesuch so viel Paperkram! Und denjenigen, die in den kleinen Büros für die Eingabe der Unmenge an Daten zuständig und davon chronisch überfordert sind, unterlaufen eben ab und zu mal  Fehler.)

Diejenigen, die unterhalb einer bestimmten Einkommensgrenze liegen, bekommen eine Fahrtkostenerstattung. Die Wartehalle hier wird mit denen geteilt, die auf ihre Medikamente warten.  Auf einer großen Leuchttafel erscheinen die Namen der Medikamentenempfänger nebst der kalkulierten Wartezeit, z. B. "Gonzalez: 1 h 30 min."

Dieses Krankenhaus ist ständig voll. Man erhält auf Monate im Voraus einen Termin. Wer den nicht einhalten kann, muß wieder monatelang auf einen neuen Termin warten.

Kriegsveteranen können sich natürlich auch von "normalen" Ärzten und in herkömmlichen Krankenhäusern behandeln lassen. Allerdings ist die Behandlung in einem VA hospital oder in einer VA clinic kostenfrei. Und wenn man einen Antrag auf VA benefits stellen will (also auf finanzielle Entschädigung wegen kriegsbedingten Behinderungen), braucht man VA-Dokumente.

Auf der Rückfahrt fiel mir ein junger Mann aus Deming ein, Juan Dominguez, der vom Krieg in Afghanistan mit drei Gliedmaßen weniger nach Hause kam: Beide Beine und ein Arm wurde ihm während des Kontakts mit einer Landmine abgerissen. Er erhielt ein "hero's welcome:"  Auf der Autobahn schon wurde er von Freunden und patriotischen Gruppen in Empfang genommen und auf Motorrädern begleitet. Dann gab es ein Picknick im Park, mit kostenlosen Würstchen und Reden.

Die ganze Geschichte hat natürlich eine doppelte Botschaft: a) Toll, was du geleistet hast! Du hast dich heldenhaft geschlagen. b) Verhalte dich weiterhin wie ein Held! Wir wollen von deinen seelischen Wunden nichts hören!

So mancher Heimkehrer schafft die Integrierung in den Alltag nicht. Der Wechsel vom Kriegshorror zurück zu einer Gesellschaft daheim, die "negativen" Gefühlen wenig Platz einräumt, die positives Denken und Optimismus überbetont, und in der man gefälligst "fine" zu sein hat, übersteigt die Kräfte. Der Film  "The Dry Land" z.B. behandelt dieses Thema auf sensible Weise.

Juan Dominguez ist aus Deming weg, zog nach Kalifornien, erhielt kürzlich dort ein "Smart House" und machte Schlagzeilen. Hier ist der Link zu einer typischen Berichterstattung:
http://abcnews.go.com/US/triple-amputee-veteran-receives-smart-home/story?id=17214792

Man beachte die Rede von "sacrifice," "re-payment," "for our country" und die Aufforderung am Ende des Videoclips, für die noch in Afghanistan Stationierten zu beten!

Ich kann nicht umhin; es geht mir auf den Geist!