Samstag, 27. Juni 2015

Das amerikanische Gesundheitssystem hautnah! Teil 1

Nun zum finanziellen Aspekt der Erblindung meines Mannes:
Mein Mann ist krankenversichert und zwar über "Medicare," der staatlichen Krankenversicherung für die über 65-Jährigen. Er zahlt dafür monatlich - wie alle - um die $104, was wirklich nicht viel ist.

Der geringe monatliche Beitrag kommt mit gewaltigen Nachteilen:

  • Zuzahlungen in der Höhe von $40 jedesmal, wenn ein Facharzt oder eine Fachärztin aufgesucht werden muß
    Nicht nur für den ersten Besuch, sondern JEDES MAL!
    (Mein Mann mußte Dr. Di Pascuale drei Wochen lang jeden Tag, auch an einem Samstag, aufsuchen)

    Für den Besuch bei einem Allgemeinen Arzt dagegen beläuft sich die Zuzahlung nur auf schlappe $15. Allerdings wieder "jedes mal." Wenn man dreimal in der Woche zum Arzt muß, sind das eben $45 in der Woche.
  • Zuzahlungen von $65, setzt man den Fuß in die Notaufnahme eines Krankenhauses
  • $150 kostet die Zuzahlung zu einer Klinik, in der eine ambulante Operation durchgeführt wird (wie die Hornhautverpflanzung bei meinem Mann)
  • $285 an Zuzahlungen für neu auf den Markt gekommene Medikamente und sogar 30% der Gesamtkosten für spezielle Medikamente (und mein Mann brauchte mehrere davon!)
  • Auch müssen Zuzahlungen für den Krankenwagen, für jede Röntgenaufnahme, für jeden Labortest und für Physiotherapie geleistet werden!
In unserem Fall kamen noch gewaltige Benzinkosten in Höhe von insegamt über $1000 dazu. Jede Fahrt nach El Paso kostete uns mindestens $35.

In diesem Kontext noch eine Skurrilität: Eines Tages wurden wir von einer Mitarbeiterin bei Humana angerufen. (Humana ist eine der Krankenversicherungen, mit der die US Regierung einen Vertrag hat, Zahlungen für Medicare-Empfänger zu leisten.) Sie gab sich als "resource specialist" aus und erkundigte sich voller Mitgefühl nach dem Wohlergehen meines Mannes.

Als ich nachhakte, erfuhr ich, dass ihre Aufgabe darin bestand, lokale Ressourcen aufzutreiben, die denen durch Krankheit in Not geratenen Versicherten vielleicht von Nutzen sein könnten. Als wir uns bitterlich über den Mangel an öffentlichen Transportmitteln beklagten, versprach sie, sich kundig zu machen und uns eine entsprechende Liste mit Hilfsorganisationen zukommen zu lassen.

Diese Liste kam auch tatsächlich nur wenige Tage später an. Sie enthielt völlig veraltete Informationen, ungültige Telephonnummern und Namen von Organisationen, die vor Jahren schon entweder aufgegeben oder aus anderen Gründen das Weite gesucht haben.
Anstelle also z.B. Fahrgeldzuschüsse zu zahlen, ziehen Krankenversicherungen es hierzulande vor, "resource specialists" einzustellen, die einem dann unnütze Informationen zukommen lassen!

Hinzufügen möchte ich zwei Dinge:
  1. Mein Mann hat sich damals, als er alt genug war, um "Medicare"-Empfänger zu werden, für die teuerste Option entschieden (Humana Gold Choice), also für die, die noch für die meisten Kosten aufkommt. Die Zuzahlungen wären ansonsten noch höher gewesen!

    Wer mehr über die Einzelheiten dieses komplizierten Systems erfahren will, kann das unter folgendem Link nachlesen: http://www.ehealthmedicare.com/about-medicare/

    Hier der Link zu einer Übersicht als Beispiel dafür, was Humana zahlt und was nicht:
    https://www.ehealthmedicareplans.com/ehi/medicare/muse-2-1?type=MD&allid=SEO39973&redirectFormHTTP#plan-compare/MA/88030/32140/LUNA/pH4522-001-000,H6609-114-000,H8145-078-000
  2. Für diejenigen, die noch im Arbeitsleben stehen, kommt noch ein weiterer Kostenfaktor hinzu: Die jährlichen "deductibles," also jener Betrag, den man erstmal aus eigener Tasche bezahlen muss, bevor die Krankenkassen überhaupt etwas zahlen. 
Ist es ein Wunder, dass hier so viele zögern, zum Arzt/zur Ärztin zu gehen?

Ach, fast hätte ich es vergessen zu erwähnen: Außer Routineuntersuchungen sind keinerlei Zahnarztbesuche abgedeckt! Wenigstens nicht von Medicare. Deshalb sieht man in von Armut geprägten Gegenden wie Deming im südlichen New Mexico so viele mit Zahnlücken. Und deshalb erfreuen sich einige mexikanische  Zahnärzte auf der anderen Seite der Grenze einer sehr lukrativen Praxis (siehe mein Beitrag vom 25. Juli 2009)
Vor kurzem landete eine Reklame von einer lokalen Zahnarztpraxis in unserem Briefkasten, in der doch tatsächlich "bequeme Ratenzahlungen" angeboten werden.

Krankenversichert zu sein heißt eben hier in den USA nicht viel.
Es kommt allerdings noch schlimmer.

2 Kommentare:

Claudia aus Kärnten hat gesagt…

OMG ....... das klingt alles ganz furchtbar "teuer"! Ich weiß ja, dass es in der USA schlecht ist krank zu werden. Was macht man denn da, wenn man an Krebs oder sonstigen schlimmen Krankheiten, wie dein Mann, erkrankt? Was ist bei Kindern,als Eltern kann man doch nicht zusehen, wie sie dann auf Raten sterben, nur weil man sich das nicht leisten kann. Jeder ist auch nicht soooo reich, trotz gutem Job!

Da soll einer sich in DE oder Europa aufregen! Das ist auch ein Grund, was mich abhält mal in der USA zu leben(mitlerweile). Jünger werde ich auch nicht und ich wollte nie vor dem Moment stehen müssen, wenn mein Kind erkrankt. Immer angst zu haben, dass man ja nicht schlimmer erkranken darf ....... macht einen nicht entspannter!

Ich wünsche euch alles Gute weiterhin, auch wenn es wohl derzeit nicht mehr schlimmer kommen kann.

LG
Claudia

Monika hat gesagt…

Liebe Claudia,

ich hab vor ein paar Jahren hier in Deming Deutsche getroffen, die mit Kind und Kegel auf einer Weltreise waren. Nach ihrem Eindruck von den Amerikanern befragt, antworteten sie, "Die sind hier alle so angespannt!" In Kanada, sagten sie, seien die Leute viel entspannter gewesen.

Die von Dir angesprochene mehr oder weniger ständige Sorge um den finanziellen Aspekt einer möglichen Erkrankung trägt sicherlich viel dazu bei.

Es gibt staatliche und städtische Hilfsmaßnahmen, vor allem, wenn man die Rechnungen für ein ernsthaft erkranktes Kind nicht bezahlen kann. Allerdings greifen die oft nicht sofort ein und die Antragstellung ist alles andere als einfach.

Im Grunde läuft das wirklich darauf hinaus, dass hier Menschen eine angemessene medizinische Versorgung verweigert wird und sie schließlich sterben, wenn das Geld ausgegangen ist.

Das ist eine riesengroße Sauerei, vor allem in einem Land, das sich einbildet, "a great nation" zu sein!