Der schöne Schal liegt vor mir auf dem Tisch. Frisch ausgepackt, ein Weihnachtsgeschenk meiner Freundin Maria! Ein Blick auf das Etikett ergibt, dass er aus Bolivien ist und gestrickt mit edler Alpakawolle. Ich lege ihn mir um den Hals. Nach nur einer Minute ist klar, dass er zwar etwas kratzt, aber ansonsten genau seinen Zweck erfüllt: Er wärmt, und zwar ungemein!
Seufzend lege ich ihn zurück auf den Tisch und blicke aus dem Fenster in einen blauen, wolkenlosen Himmel.
Neben der Tür stehen meine neulich erstandenen Winterschuhe, gefüttert, wasserabweisend und von daher für Schnee und Matsch bestens geeignet. Erinnerungen an den Kauf und den Schuhladen kommen auf: Die Verkäuferin war sehr behilflich gewesen, war hin und her gelaufen, im Lager verschwunden, um mir die richtige Größe zu bringen - alles in kurzen Ärmeln und Caprihosen! Die Kaufaktion fand Ende Oktober statt, ich noch voller Hoffnung auf einen baldigen und ordentlichen Wetterumschwung.
Ich hatte mich von der ewigen Sonne und den im Schatten gemessenen 18° nicht beirren lassen und erstand Mitte November bei Walmart eine gefütterte Jacke. Es MUSS doch bald kalt werden, dachte ich.
Ich häkelte mir sogar schöne, super-weiche Ohrwärmer, die genau zu meinen Jeans und zu oben erwähnter Jacke passen würden.
Heute muß ich meinen Mann nach Silver City zum Arzt bringen, eine Kleinstadt, die höher liegt und deren Einwohner von daher ab und zu einen grauen Himmel und Schnee erleben dürfen. Wie ich sie beneide!
Die Wettervorhersage war äußerst vielversprechend: Nur 6°!
Das ist meine Chance, fährt es mir durch den Kopf. Endlich kann ich in jene gefütterten Schuhe schlüpfen, die neue Jacke anziehen, den geschenkten Schal um den Hals wickeln, und vielleicht sogar meine Ohren mit dem Selbstgehäkelten vor rauhem Winterwetter schützen. Voller Vorfreude ziehe ich mich an, packe Mann und Hunde ins Auto, und los geht es, eine Stunde nach Norden.
Es dauert allerdings nicht lange und Schweißtropfen bilden sich auf der Stirn. Auch das Ausschalten der Heizung im Auto bringt wenig Abhilfe. Ich schwitze. Also lege ich Schal und Jacke beiseite. Auch das ist von wenig Erfolg gekrönt. Ich schwitze immer noch.
In Silver City angekommen setze ich meinen Mann bei der Arztpraxis ab und dann alle Hoffnung auf den Hundepark. Dort, draußen und in der Kälte, werde ich doch hoffentlich wieder meine Jacke anziehen müssen und mir den funkelnagelneuen Schal um den Hals legen können!
In voller Winterausrüstung stehe ich also im Hundepark. Während die Vierbeiner übermütig herumspringen, sinkt meine Stimmung auf den Nullpunkt. Mir ist warm. Sehr warm sogar. Zu warm! Ich muß die Jacke wieder ausziehen, den Schal ablegen, und - schlimmer noch - die viel zu warmen Schuhe ertragen, da ich kein anderes Paar mitgebracht habe!
Auch hier, nichts als enttäuschendes Sommerwetter! Im Dezember! Die vielversprechenden 6° sind mal wieder eine - in meteorologischer Hinsicht - völlige Fehleinschätzung gewesen! Und ich hatte wieder vergessen, dass 6° oder 8° im Schatten mindestens 15° im schattenlosen Hundepark ergeben!
Schlecht gelaunt hole ich meinen ahnungslosen Mann ab, schmeiße alle unnützen Kleidungsstücke auf den Rücksitz (so dass unsere drei Hunde es sich auf ihnen bequem machen können!) und fahre durch die Wüstenlandschaft nach Deming zurück.
Zuhause angekommen, überprüfe ich nochmals die Wettervorhersage: 10° nun für Silver City und 14° für Deming! Also gut 20° sobald man sich NICHT im Schatten aufhält.
Aber warte mal! Ha! Mein Auge schweift über die Nachttemperaturen: Herrliche 0°! Und keine störende Sonne kann dazwischenkommen!
Eine Idee formt sich. Vielleicht, vielleicht sollte ich einfach einen Nachtspaziergang unternehmen, mit allem drum und dran: den gefütterten Schuhen der neuen Jacke, dem Schal aus Bolivien, den Ohrwärmern . . .
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