Freitag, 21. Dezember 2012

Heute sind alle Flaggen . . .

. . . auf Halbmast. Um 9:30 wurde in 28 Bundesstaaten eine Schweigeminute eingehalten.

Heute vor einer Woche - um 9:30 - betrat Adam Lanza die Sandy Hook Grundschule in Newtown im Bundesstaat Connecticut und erschoß 20 Kinder und sechs Erwachsene, bevor er sein eigenes, 20-jähriges Leben beendete.

Ich konnte nicht anders: ich hab geheult, als ich von diesem Amoklauf erfuhr.

Was mich zutiefst beunruhigt sind nicht nur Gewalttaten wie solche, die leider allzu häufig das Licht der Medienaufmerksamkeit erreichen. (Z.B. schoß am gleichen Tag einer in einem Einkaufszentrum in Portland im Bundesstaat Oregon um sich.)
Es ist die zugrundeliegende - mehr oder wenige bewußte - Geisteshaltung, die solche Ausbrüche von Zerstörung menschlichen Lebens auf so breiter Ebene ermöglicht, die mich traurig und wütend zugleich stimmt.

Ich rede von der Verherrlichung eines archaischen Verständnisses von dem, was "Mann-Sein" bedeutet.
Diesem Verständnis nach ist ein "richtiger Mann" einer, der tatkräftig und mutig seine hilflose, heulende Frau und die vor lauter Angst am Leibe zitternden Kinder vor Bösewichtern aller Art mit der Waffe heldenhaft verteidigt.

Das ist das Thema unzähliger, älterer und neuerer US Spielfilme. Wenn der Sohnemann dem Vater gegenüber erklärt, "you are my hero, dad," weiß Daddy, dass er seine Rolle erfüllt hat.
Und der Fernseher ist allgegenwärtig. Amerikaner verbringen weitaus mehr Zeit vor der Glotze als Europäer und lassen sich von ihren Bilder manipulieren.

"Not man enough? Buy a gun!" So der Titel eines Artikels bei CNN. Der Schreiber dieses Artikels, Paul Waldman, spricht mir aus der Seele.

Das Bedürfnis, sich "als Mann" zu beweisen, ist allgegenwärtig.
Und der "richtige Mann" hat natürlich mindestens eine Knarre.

Nach Paul Waldman ist die Anzahl von Menschen, die eine Waffe zu Hause im Schrank haben, von 54% im Jahre 1977 nun auf 32% gesunken. Allerdings erzielte kürzlich der Verkauf von Knarren eine Rekordhöhe. Im Klartext: Wer schon im Besitz eines Schußeisens ist, legt sich ein zweites, drittes oder gar ein viertes und fünftes zu. Auf hundert Einwohner kommen heute 88,8 Waffen! Waffenbesitzer hat die Angst gepackt, dass Obama nun Ernst macht und ihnen ihr innig geliebtes "Spielzeug" und Insignium des "Mann-Seins" aus den Händen nimmt.

Es bleibt allerdings fraglich, ob sich die jetzige Regierung gegen ein so tief verwurzeltes Selbstbild des männlichen Durchschnittsamerikaners durchsetzen kann.

Hier ein paar Beobachtungen auf lokaler Ebene:

  • Mein Freund Joel wird auf seinem Arbeitsplatz gehänselt, weil er - als Mann - mit Waffen nichts am Hut hat. O-Ton Joel: "They think I am not a real man!"
  • In der Deming Headlight stand vor ein paar Tagen ein Leserbrief, in dem der Schreiber doch allen Ernstes behauptete, dass die Metzelei in der Sandy Hook Grundschule nicht passiert wäre, wären die Lehrer/innen mit dem Umgang von Waffen ausgebildet!
    (Man stelle sich vor: Wer Lehrer/in werden will, muß ein paar Kurse am Schießplatz belegen und einen Test im Scharfschießen bestehen.) 
  • Viele Stoppschilder und andere Straßenschilder auf einsamen Bundesstraßen weisen Einschußlöcher auf. 
  • Wer während der Jagdzeit wandern gehen will, ist angehalten, eine grellfarbige Weste zu tragen, um nicht von kurzsichtigen, schießwütigen Jägern abgeknallt zu werden. Wenn man mit seinem Vierbeiner unterwegs sein will, zieht man dem am besten ein Hundemäntelchen in ähnlich greller Farbe über - im Handel erhältlich.) 
  • Meiner Freundin Sherry wurde vor ca. zwei Wochen da, wo wir letzten Winter regelmäßig unsere Hunde ausführten (siehe Post vom 4. März dieses Jahres) ihr kostbarer Falke, den sie jahrelang abgerichtet hatte, abgeschossen. Der 20-Jährige, der mit seinem Gewehr über dem Falken stehend erwischt wurde, erklärte der Polizei gegenüber, dass er eigentlich in dieses Stück Wüste gekommen war, um seinen alten und kranken Hund zu erschiessen!!
  • Letzes Jahr wurde - rechtzeitig zu Beginn der Jagdzeit - in der Las Cruces Zeitung ein Foto veröffentlicht, das ein 14-jähriges Mädchen nebst einem von ihr erlegten Rehbock zeigte.
    (Anmerkung: Mir ist es egal, ob es sich hier um ein Mädchen oder um einen Jungen handelt. Und mir ist klar, dass eine gewisse Anzahl von Tieren erlegt werden müssen. Ich frage mich aber, warum man das nicht Leuten überläßt, die das beruflich machen. Und was macht das Töten eines herrlichen Tieres, das aller Wahrscheinlichkeit nach keinelei Chance auf Entkommen hatte, mit der Seele eines Kindes?) 
  • Meine Freundin Inez erhielt letztes Jahr von ihrem Mann einen Revolver - zu Weihnachten!
Apropos Weihnachten: Die Großmarktkette Walmart bietet alle Jahre wieder Gewehre zu heruntergesetzten Preisen als Weihnachtsgeschenk für den Sohnemann an. Meinem Mann zufolge (ich hab ja von Knarren nicht die geringste Ahnung) kann man mit diesen "air rifles" keinen ernsthaften Schaden anrichten, aber es geht ums Prinzip: Schließlich übt sich früh, wer ein Meister werden will! 

Übrigens inserierte ein Sportgeschäft in Las Cruces kürzlich ein Gewehr in Rosa - für die Dame, die dann die echten Kerle auf der Jagd begleiten will.


Oben das Inserat in der Deming Headlight für eine Gewehr- und Bastel-Show, die Ende November in Silver City - eine Stunde nördlich von hier - stattfand.
Man beachte den Satz "Gute Gelegenheit für die Weihnachtseinkäufe!"

Ich wünsche meinen Lesern und Leserinnen ein friedliches Weihnachtsfest!